100 Jahre Verdun, Flüchtlingsdebatte, Brexit, Grexit – wie geht es eigentlich gerade Europa?

Die Temperatur scheint gerade etwas fiebrig zu sein. Das zeigt sich auch abseits des großen politischen Parketts. Nehmen wir den Eurovision Song Contest. Schon seit einigen Jahren hat ja hier der Kalte Krieg einen seiner letzten Schlupfwinkel gefunden. In diesem Jahr gewann nun die Ukrainerin Jamala mit einem Lied, in dem sie an die Deportation der Krimtataren im Zweiten Weltkrieg erinnert.

Nicht allen ging es in der Sowjetunion schlecht. Manche hätten sogar gerne Stalin zurück.

Nicht allen ging es in der Sowjetunion schlecht. Manche hätten sogar gerne Stalin zurück.

In der Deutung gilt der Song als antirussisch, was ihm wohl auch so viel Zuspruch aus Mittelosteuropa eingebracht hat. Und da liegt das Problem. Die Deportation der Krimtataren war ein großes Verbrechen. Eines von unzähligen Verbrechen unter sowjetischer Herrschaft.  Immer mehr setzt sich aber in Mittelosteuropa ein Narrativ durch, das auch hier in Westeuropa nicht hinterfragt wird: Die Sowjetunion war eine Herrschaft der Russen, andere Nationalitäten waren von Russen unterdrückte und verfolgte Minderheiten, freiheitsliebende Völker, denen die Sowjetherrschaft aufoktroyiert wurde. Richtig ist aber: Die Sowjetunion war ein Vielvölkerstaat. Russen waren zweifellos in der Mehrheit – aber genauso Opfer der Sowjetherrschaft wie alle anderen. Stalin nicht zuletzt war kein Russe, sondern Georgier. Wer also das Leid der Menschen in der Sowjetunion als Verbrechen von Russen an wehrlosen Minderheiten deutet, verklittert die Geschichte. Und das trägt schon gar nicht zu einem europäischen Verständigungsprozess bei.