Möchten Sie eine Tüte für 20 Cent? An der Kasse beendet die Plastiktüte gerade ihr Dasein als kostenloses Einkaufs-Add-on. Das Ziel ist klar: Die Tüte muss weg. Begeben wir uns aber Mal in das Reich der Anekdote. Russland zu Beginn der 90er Jahre: Rasende Inflation, Versorgungsengpässe, wackelige politische Verhältnisse. In dieser Zeit war die Plastiktüte der Weg ins Glück. Sie war ein rares Gut, und wer eine hatte, liebkoste sie durch regelmäßiges Waschen, Trocknen und Wiederverwenden. Wochen- und monatelang. Bis sie so durchlöchert war, dass sie Reis und Mehl durchrieseln ließ. Ich hatte sie wie jeder andere immer dabei. Das Konsumangebot war gleich null. Ob es etwas zu kaufen gab oder nicht, entschied oft der Zufall. Plötzlich stand da jemand auf der Straße, der Eier verkaufte. Oder Streichhölzer. Oder Schnürsenkel. Oder Granatäpfel. Oder Fleisch. Und wenn es denn tatsächlich etwas zu kaufen gab und es fehlte an der Tüte, ging man leer aus. Und so habe ich ganze Abende mit Tütenwaschen verbracht. Denn wer mag schon die Tüte zweimal benutzen, wenn am Tag vorher frisches Fleisch darin lag?  Eierkästen übrigens waren der schiere Luxus, alles kam immer nur in die Tüte. Als Mitbringsel von Freunden aus der Heimat habe ich mir oft Plastiktüten gewünscht. Das Lachen darüber verging vielen, sobald sie die prekäre Versorgungslage erfasst hatten. Ohne Tüte lief damals gar nichts. Heute muss die Plastiktüte weg, keine Frage. Der verschwenderische Umgang mit ihr ist weltweit eine große Umweltbelastung. Aber trotzdem möchte ich der Tüte ein ehrendes Andenken bewahren. Denn sie hat den Einkauf von Lebensmitteln von hygienischen und zeitlichen Zwängen befreit.