Eine Eisverkäuferin in Moskau. Die Sowjetunion war eines der ersten Länder der Welt, die den 8. März als Feiertag einführten. Bis heute ist der Tag dort sehr wichtig. Die Männer überhäufen die Frauen mit Blumen, und Frauen gratulieren Frauen. Es ist immer ein sehr heiterer Festtag, man kommt zusammen, isst und trinkt und lacht viel. Hier endet aber schon die Geschichte der Wertschätzung von Frauen in Russland.

Frauen haben ihr eigenes Einkommen, arbeiten – UND sind für die Kindererziehung und den Haushalt zuständig. Das ist bis heute in Russland selbstverständlich. Frauen wie die Eisverkäuferin sieht man überall in Russland. Hartes Leben, unzuverlässige Männer, wenig Rente, ein bisschen was dazu verdienen. Daran haben leider auch 100 Jahre Frauentag nichts verändert.

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle nicht über Russland schreiben, sondern über die Buchtipps auf ZDFkultur. Dort wird der Frauentag auch gefeiert. Mit Büchern von Frauen über Frauen. Hier eine Auswahl, die ich persönlich vorstelle.  Und wer es sich anschauen möchte, kann hier klicken https://dein-buch.zdf.de/new-arrivals.

Am besten bleibe ich aber gleich noch in Russland. Denn starke Frauen in der Literatur: Da schlage ich zum Beispiel Ljudmila Ulickaja vor, die Grande Dame der zeitgenössischen russischen Literatur. Sie engagiert sich politisch in der Putin-Opposition. Trotz ihres würdevollen Alters übergoß man auch sie auf offener Straße mit grüner Farbe. Das sind die sogenannten Seljonka-Attentate, mit denen man versucht, Oppositionelle und Andersdenkende zu stigmatisieren. Die grüne Farbe ist eine Anspielung auf ein russisches Desinfektionsmittel. Langsam hören diese Attentate aber auf, vermutlich, weil die Besprühten angefangen haben, das Stigma als Trophäe umzudeuten. Die Anhänger Nawalnyjs beispielsweise haben sich selbst absichtlich grüne Farbe ins Gesicht gespritzt.  Auf „Dein Buch“ stelle ich stellvertretend für viele gute Bücher von Ulickaja ihr Erstlingswerk vor, „Sonetschka“. Eine Erzählung von 1992, die sie auf einen Schlag bekannt machte. Sonetschka lebt zur gleichen Zeit wie Miss Amelia, aber am anderen Ende der Welt. Auch Sonetschkas Lebensgeschichte ist eine Befreiung aus der Einsamkeit, in die sie am Ende aber wieder zurückkehrt. Sonetschka arbeitet als junge Frau in einer Bibliothek im Ural und widmet sich mit schwärmerischem Idealismus dem Lesen. Sie lebt das Leben eines Mauerblümchens, als sie dort in ihrer Bibliothek einen ältlichen Intellektuellen kennenlernt, einen Verbannten. Sie brennt für diese neue Liebe und beginnt, mit unermüdlicher Kraft in dem Elend der Verbannung ein häusliches Glück aufzubauen. Ihre Glaube an das große Glück im kleinen Alltag ist anrührend. Wer den Grundsound der russischen Literatur kennenlernen will, ist mit „Sonetschka“ bestens aufgehoben. Große Seelen in kleinen Wohnungen. Freie Geister in enger politischer Welt. Frauen, für die Feminismus und ein klassisches Rollenbild keine Widersprüche sind. „Sonetschka“ ist als Russisch für Anfänger super!

Wer Lust hat, von starken Frauen über starke Frauen zu lesen, dem empfehle ich zudem eines meiner Lieblingsbücher, „The ballad of the sad café“ von der amerikanischen Schriftstellerin Carson McCullers. Kennt eigentlich noch irgendwer Carson McCullers? Ich fürchte, sie gerät leider in Vergessenheit. Schade! Wer einmal mit ihr anfängt, gerät unausweichlich in den Sog ihrer poetischen Prosa. McCullers hatte ein kurzes und unglückliches Leben, das sich in ihren Büchern widerspiegelt. Melancholische, einsame Helden, für die das Schicksal viel Unversöhnliches bereit hält. „Clock without hands“ oder „The heart is a lonely hunter“: Alleine die charmanten Titel sind es wert, McCullers in die Hand zu nehmen. „The ballad of the sad café“ hat etwas Märchenhaftes: Der buckelige Zwerg, der das Herz der einsamen Miss Amelia erobert, hat mich an Klein Zaches von E.T.A. Hoffmann erinnert. Die „Ballade“ spielt in den 1930/40 Jahren im amerikanischen Süden, ein armseliges Nest, engstirnige Menschen. Und mittendrin als einziger Vergnügungsort ein Café. Betreiberin ist die hemdsärmelige Miss Amelia, schweigsam und schroff. Dort verkauft die unabhängige und starke Frau ihren selbstgebrannten Whiskey. Plötzlich steht ein buckeliger Zweck vor der Tür und behauptet, Miss Amelias Vetter zu sein. Nichts an ihm ist liebenswert, aber die einsame Miss Amelia nimmt ihn auf. Und lässt ihn in ihr verhärmtes Herz. Der angebliche Vetter geriert sich im Café als Aufschneider, aber Miss Amelia nimmt es hin. Sie versucht, den guten Kern in ihm zu finden und alles zu verzeihen. So gehen die Jahre dahin, der Zwerg lebt auf Kosten von Miss Amelia, die dennoch glücklich ist. Bis es zu einer überraschenden Wende kommt, die Miss Amelia in ihr einsames Leben zurückschickt. Zum ersten Mal gelesen habe ich den Roman 1999. Damals gab es eine Umfrage unter Promis, welches ihr persönliches Millenniumsbuch sei. Damals hatte ich ja alles die Vorsilbe „Millenium“. Ich weiß nicht mehr, wer, aber irgendjemand sprach von der „Ballade vom traurigen Café“ als seinem persönlich Milleniumsroman. Der Titel hat mich neugierig gemacht. Der Roman ist übrigens auch großartig verfilmt mit Vanessa Redgrave als Miss Amelia. https://dein-buch.zdf.de/book/571

https://twitter.com/3sat/status/1368245140096233473?s=09