Wenn es im Job hart auf hart kommt, zählen die weichen Faktoren: Geduld, Wertschätzung, Ausdauer, Fairness. So weit, so schlecht. Denn was so einfach wie eindrucksvoll klingt, ist im realen Arbeitsleben leider noch lange nicht an der Tagesordnung. Dabei könnten Unternehmen um so viel erfolgreicher sein, wenn sie nur wenige Spielregeln besser beherrschten.
Welche Rolle spielt der menschliche Faktor im Getriebe von Wirtschaft und Finanzen? Der Verhaltensökonom Matthias Sutter hat viele internationale Studien und Forschungsergebnisse zusammengetragen und lebensnah erläutert. Herausgekommen ist ein anekdotisches und zugleich sehr informatives Buch, in dem sich jeder und jede in seinem und ihrem Arbeitsalltag wiederfinden kann: „Der menschliche Faktor oder worauf es im Berufsleben ankommt“ erschienen bei Hanser https://www.hanser-kundencenter.de/fachbuch/artikel/9783446473133
Die sogenannten „weichen Faktoren“ sind DAS Thema des Forschers Matthias Sutter. Im Berufsleben ist entscheidend, meint Sutter, mit anderen Menschen zu können, sie zu verstehen und ihre typischen Verhaltensweisen zu kennen. 2014 erschien dazu bereits sein Titel „Die Entdeckung der Geduld“. Immer wieder kreist seine Forschung um Selbstkontrolle und Wertschätzung. Mehrfach habe ich darüber Interviews mit ihm führen können, hier zum Beispiel 2020 in der Sendung „makro“ (3sat): Interview M. Sutter
Matthias Sutter ist Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn und lehrt an den Unis in Köln und Innsbruck. Menschen mit mehr Geduld und höherer Selbstkontrolle sind im Schnitt besser ausgebildet, gesünder und verdienten mehr Geld, erklärt Sutter. Er geht sogar so weit zu behaupten, dass Geduld und Selbstkontrolle gleichbedeutend seien mit dem Intelligenzquotienten und dem familiären Hintergrund. Im Kern gehen diese Untersuchungen auf Walter Mischels Marshmallow Experimente aus den 1960er und 1970er Jahren zurück. Der Entwicklungspsychologe Walter Mischel testete, mit welchen Strategien es vier- bis fünfjährigen Kindern gelingt, ungefähr zehn Minuten der Versuchung zu widerstehen, ein vor ihnen liegendes Marshmallow zu essen. Wenn sie das schafften, bekamen sie ein zweites Marshmallow dazu. Sich die Augen zuzuhalten oder Lieder zu singen, sollen beispielsweise erfolgreiche Strategien der Kinder gewesen sein. Weltberühmt wurde Mischel mit dem Ergebnis, dass jene Kinder, die im Alter von vier bis fünf Jahren auf das zweite Marshmallow warten konnten, als Jugendliche weniger häufig Alkohol und Drogen konsumierten, weniger oft als Teenager schwanger wurden, schulisch erfolgreicher waren, höhere Bildungsabschlüsse erwarben und über ein besseres soziales Netzwerk verfügten.
Das ist also die wissenschaftliche Weltsicht, aus der Matthias Sutter kommt. In diesem Buch, schreibt der Autor, habe er so etwas wie die große Klammer gesucht. Eine Klammer, die unabhängig sei vom Lebensalter. Ratgeber gäbe es für Berufsanfänger, für Umsteiger, Aufsteiger etc. Aber er habe eine Klammer gesucht im Sinne einer umfassenden Einsicht, welche Faktoren im Berufsleben wirklich wichtig sind – ganz egal, in welcher Phase Leserin oder Leser gerade stehe. Das ist diesem Buch sehr wohl gelungen.
Es gibt Klischees. Und manche stimmen sogar. Aber überraschender Weise nicht aus den Gründen, die jeder erwartet. Große Männer sind beruflich im Schnitt erfolgreicher und verdienen auch mehr als kleinere. Weil Körpergröße vielleicht mehr Vertrauen beim Arbeitgeber auslöst. Könnte man meinen. Es ist schließlich noch nicht allzu lange her, da war Körpergröße tatsächlich von großem Vorteil, beim Militär zum Beispiel oder auch in der Landwirtschaft. Aber eine wissenschaftliche Studie kommt zu einem anderen fundamentalen Ergebnis: Nicht die Größe im Erwachsenenalter ist entscheidend, sondern die Größe im Teenageralter. Jene, die bereits als Heranwachsende relativ groß sind, verdienen später mehr als jene, die im Teenageralter kleiner sind – unabhängig von der Körpergröße im Erwachsenenalter. Denn wer bereits im Teenager Alter größer ist, konnten Forscherinnen und Forscher herausfinden, hat mehr soziale Aktivitäten und Kontakte. Und dabei werden sogenannte nicht-kognitive Fähigkeiten gefördert und trainiert – etwa Teamfähigkeit, Ausdauer und Durchhaltevermögen, Kompromissfähigkeit und Führungsfähigkeiten. Und diese Art von „Humankapital“ führt im Erwachsenenalter zu höheren Gehältern.
Frauen in Auswahlgremien erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen sich im Wettbewerb um Jobs durchsetzen. Stimmt´s? Nein, leider. Sogar das Gegenteil ist der Fall. In Italien und Spanien müssen sich Bewerber und Bewerberinnen für Professorenstellen staatlich organisierten Auswahlverfahren stellen und vor eine Kommission treten. Auf Basis von mehr als 100.000 Bewerbungsverfahren mit mehr als 8000 Kommissionsmitglieder konnten Forschende überprüfen, ob es für die Erfolgschancen von Frauen bedeutsam ist, wie viele Frauen in einer Kommission sitzen. Die überraschende Erkenntnis: Mehr Frauen in der Kommission verringern sogar die Erfolgschancen von weiblichen Kandidaten – wenn auch in geringem Umfang. Die Erklärung liegt darin, das weibliche Kommissionsmitglieder zwar weibliche Kandidaten im Schnitt besser beurteilen als männliche Kommissionsmitglieder, dass die männlichen Kommissionsmitglieder aber weibliche Kandidaten deutlich schlechter bewerten, sobald Frauen der Kommission angehören. Warum tun sie das? Vielleicht, weil Männer in Auswahlgremien gerade deshalb weniger wertschätzdend gegenüber weiblichen Kandidaten werden, gerade weil schon andere Frauen im Auswahlgremium sitzen, die es offenbar nach ganz oben geschafft haben.
Banker sind nicht vertrauenswürdig. Stimmts? Ja, Leider. Das geht aus einer Untersuchung hervor, die sich um den Zusammenhang von Vertrauenswürdigkeit und der Tätigkeit nach dem Studium dreht. Konkret ging es in dem Experiment darum, ob Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die im Finanzsektor arbeiten wollen, weniger vertrauenswürdig sind als andere Teilnehmende, die in anderen Bereichen ihr Geld verdienen wollen. „Die Ergebnisse legen eine systematische Selbstselektion von Studierenden in der Finanzbranche nahe“, schreibt Matthias Sutter. Das wurde auch in einer zweiten Studie bestätigt, in der herausgefunden wurde, dass Studierende mit einem hohen Interesse an der Finanzbranche weniger kooperativ und stärker egoistisch handelten. Und in einem letzten Teil der Studie interessierte, was denn eigentlich in Stellenausschreibungen für die Finanzbranche als Einstellungskriterium genannt wird. Es zeigte sich, dass offenbar analytische Fähigkeiten eine herausragende Rolle spielten; Kooperation und Vertrauenswürdigkeit hingegen sind praktisch unbedeutend und werden nicht als Kriterien genannt oder in irgendeiner Weise überprüft. Also: An dieser Stelle stimmen die Klischees, leider.
Als ich das gelesen habe, viel mir spontan die Soziologin Claudia Czingon ein. 2019 erschien ihr Buch „Die Berufsmoral der Banker“ im Campus-Verlag https://www.campus.de/buecher-campus-verlag/wissenschaft/soziologie/die_berufsmoral_der_banker-15345.html 2019 konnte ich in der Sendung „makro“ (3sat) dazu ein Interview mit der Wissenschaftlerin führen: https://www.zdf.de/verbraucher/makro/interview-mit-claudia-czingon-zu-banken-und-moral-100.html. Wer lieber liest als schaut: https://www.zdf.de/nachrichten/heute/interview-mit-soziologin-keine-lehren-aus-der-finanzkrise-bei-investmentbankern-100.html. Claudia Czingon ist der Frage nachgegangen, ob die Finanzbranche Lehren aus der Krise gezogen hat, in die sie die Weltwirtschaft 2007 gestürzt hat. Kann sie Fragen nach moralischem Handeln echte Wertschätzung entgegenbringen? Antwort: nein. Moral ist etwas, was nach wie vor externalisiert wird. Zum Beispiel in Form von Spenden für gemeinnützige Organisationen.
Zurück zum Buch von Matthias Sutter: Ist es Kumpanei, wenn Firmen offene Stellen mit Personen besetzen, die von bestehenden Mitarbeitenden empfohlen werden? Manche Firmen zahlen den Empfehlenden dafür sogar einen Bonus. Was steckt dahinter? Tatsächlich zeigen empirische Studien, dass Personen, die eine offene Stelle durch eine Empfehlung eines aktuellen Mitarbeiters oder Mitarbeiterin bekommen, schneller eingestellt werden, tendenziell besser qualifiziert sind und länger im Unternehmen bleiben als nicht empfohlene Personen. Das geht u.a. auf Erhebungen mit Fernfahrern, Mitarbeitenden in Callcentern oder in High Tech Firmen zurück. Nehmen wir das Beispiel einer baltischen Supermarktkette, bei der jedes Jahr fast 80 Prozent der Angestellten ihre Stelle kündigten. Die Firma führte ein Empfehlungsprogramm ein für 5000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Wenn die Empfehlung zu einer neuen Einstellung führte und die neue Person mindestens fünf Monate im Unternehmen blieb, dann bekam die empfehlende Person je nach Standort einen Bonus von 50, 90 oder 120 Euro. Tatsächlich führte ein höherer Bonus auch zu mehr Empfehlungen. Das Programm hatte aber noch einen anderen unerwarteten und größeren Effekt. Die aktuellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Empfehlungen machen konnten, blieben nach der Einführung des Programms länger im Unternehmen und hatten eine um 15 Prozent geringere Kündigungswahrscheinlichkeit. Sie fühlten sich offenbar durch die Einführung des Programms stärker ernst genommen und schätzten ihre Mitsprachemöglichkeit, lautet die Schlussfolgerung der Forschenden. Das führte zu längeren Verweilzeiten in Unternehmen und zu einer höheren Arbeitsplatzzufriedenheit. Wertschätzung war also auch hier der entscheidende Faktor.
Frauen verdienen weniger als Männer, leider. Das Lamento ist alt, neu sind aber einige Erklärungsansätze, die Matthias Sutter zusammengetragen hat. Denn verhaltensökonomische Forschung zeigt, dass es große Geschlechterunterschiede in der Bereitschaft gibt, sich einem Wettbewerb zu stellen. Und dieser Unterschied hat erheblichen Einfluss auf die Berufswahl und das Einkommen. Er ist in vielen Studien gezeigt worden, schreibt Matthias Sutter: Frauen sind risikoscheuer und Männer überschätzen sich selbst. In modernen Arbeitsmärkten aber muss man den Wettbewerb um attraktive Posten annehmen, um überhaupt eine Chance zu haben. Untersuchungen belegen, dass Frauen allerdings eher in die Wettbewerbssituation gehen, wenn es Quotenregelungen gibt. Woher kommen diese Unterschiede und in welchem Alter beginnen sie? Die Familie spielt dabei eine wichtige Rolle, lautet eine der Erkenntnisse. In einer großen Studie mit mehr als 1500 Jungen und Mädchen im Alter von 3 bis 18 Jahren fanden die Forschenden heraus, dass schon im Kindergartenalter, also ab 3 bis 4 Jahren, Mädchen sehr viel häufiger als Jungen einen Wettbewerb meiden. Sind diese Unterschiede genetisch bedingt? Eine andere Erklärung rückt die Familie und die möglicherweise prägende Vorbildwirkung von Müttern und Vätern ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Traditionell ist ja in unserer westlich geprägten Kultur der Mann in der dominanten Rolle. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aber stellten sich die Frage, ob sie eine Kultur fänden, wo das Rollenverständnis umgekehrt ist. Dann könnte man doch testen, ob in einer solchen Kultur die Frauen plötzlich wettbewerbsorientierter als die Männer sind. Forschende konnten im Nordosten Indiens Angehörige des Volkes Khasi finden. In diesem Volk ist es wohl Tradition, das sich die Clanzugehörigkeit über die Mutter definiert und die jüngste Tochter das Vermögen der Familie erbt. Und in diesem Volk, fand die Untersuchung heraus, waren die Frauen deutlich häufiger bereit, Wettbewerbssituationen einzugehen. Kultur hat also sehr großen Einfluss auf ökonomische Entscheidungen und den Erfolg von Männern und Frauen im Berufsleben.
Matthias Sutter: „Der menschliche Faktor oder worauf es im Berufsleben ankommt“ erschienen bei Hanser https://www.hanser-kundencenter.de/fachbuch/artikel/9783446473133