Viel Gegend hat dieses Sauerland. Hier trifft Natur auf Wirtschaftskompetenz: Wer sich hinauf begibt auf die Gipfel, kann von oben einen Weltmarktführer nach dem nächsten finden. Aber damit das so bleibt, gibt es viel zu tun, denn der Fachkräftemangel trifft diese ländliche Region noch viel stärker als die Metropolen. Deshalb gab es jetzt in den sogenannten „Sauerland-Pyramiden“ eine ungewöhnliche Initiative.

Die Pyramiden von innen. Es waren genauso viele CEO´s anwesend wie GenZler. Das war Voraussetzung. Im Vordergrund: Das Klapprad des Keynote-Speakers

Südwestfalen nennt sich der Raum, der sich als Oberbegriff von Sauer- und Siegerland definiert. Er ist nicht weniger als die industriestärkste Region in Nordrhein Westfalen. Und die drittstärkste in ganz Deutschland. Nur leider in the middle of nowhere. Denn kaum jemand weiß überhaupt, wo Sauer- und Siegerland auf der Landkarte zu finden sind. Eine gängige Frage zur Orientierung lautet: Wie heißt denn die nächstgrößere Stadt? Tja, da muss ich dann zum ersten Mal passen: Sorry, es gibt leider keine, es gibt nur Gegend.

Na gut, Siegen ist eine Großstadt. Aber ganz ehrlich? Wer kennt denn Siegen außerhalb von NRW? Und Lüdenscheid? Ha, ha, Müller-Lüdenscheid, okay, ist schon lustig. Und Hagen? Reisenden vor allem bekannt durch die ungewöhnlich große Lücke zwischen Zug und Bahnsteigkante. Aber gut, immerhin hat Hagen ICE-Anbindung, das muss man ja auch erstmal schaffen.

Ich selbst bin im Sauerland geboren und aufgewachsen, in Olpe, meine Mutter kam aus der Region, mein Vater ebenfalls, ich weiß also, wovon ich rede. Ich bin als Erwachsene öfters umgezogen. Und immer dann, wenn ich meinen Geburtsort nennen musste, kam charmante Belustigung auf. Ganz besonders in Russland, wo ich eine Zeitlang studiert habe. Einer Dame an der Uni, der ich den Ort mehrfach, aber leider folgenlos buchstabiert hatte (und auch das kyrillische Alphabet kennt die Buchstaben O*L*P*E, so ist es ja nicht), schrieb der Einfachheit halber dann „Omsk“. Okay, hat auch vier Buchstaben und fängt mit „O“ an, warum nicht?

Omsk habe ich nach dem Abitur den Rücken gekehrt. Weil viel Gegend, ansonsten tote Hose. Und das Schlimme ist, dass sich das in all den Jahren nicht großartig geändert hat. Bis heute tun viele junge Menschen aus Olpe, Attendorn, Halver, Siegen, Freudenberg, Meschede, Arnsberg usw. genau das Gleiche wie ich: Sie hauen ab in die großen Metropolen. Nach der Schule nix wie weg. Und da sind wir wieder am Anfang der Geschichte: Denn für die Unternehmen türmen sich neben dem allgemeinen Fachkräftemangel enorme Probleme auf, die Abwanderung macht ihnen schwer zu schaffen. In Südwestfalen ist der Anteil junger Erwachsener geringer als im Bundesdurchschnitt und im Durchschnitt von NRW.

Was tun also die Weltmarktführer, wenn der Nachwuchs abwandert? Sie tun etwas sehr Vernünftiges. Sie treten mit den jungen Menschen aus der Region in Kontakt. Auf Augenhöhe. Unvoreingenommen. Offen für ein ehrliches Feedback. Sie fragen die jungen Menschen: Was braucht ihr, damit ihr hier bleibt? Und wir euch als Fachkräfte für unser Unternehmen und unsere Region gewinnen können? Die NextGen Conference Südwestfalen, die am 16. September 2022 in den Sauerland-Pyramiden in Lennestadt stattfand, war die erste dieser Art in der Region und eine der wenigen in ganz Deutschland.

https://nextgensuedwestfalen.com/

Hier wurde nicht über junge Menschen gesprochen, sondern mit ihnen

Hier wurde nicht über junge Menschen gesprochen, sondern mit ihnen

Nicht nur der Ort war bestens ausgewählt: Die sieben Sauerland-Pyramiden sind Teil des Galileo-Parks, einer Dauerausstellung über Natur und Technik. Hinter dem Park steht das Unternehmen Tracto, einem für das Sauerland so typischen Familienunternehmen. Tracto verlegt und erneuert Rohre, ohne zu graben. Bevor ich hier ins technische Detail gehe, ist vor allem eine Info wichtig: Tracto hat so viele Patente wie Mitarbeitende. Nämlich 600. Tracto steht prototypisch für den innovativen Mittelstand, der das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bildet.

Und was ist nun dabei herausgekommen, bei der ersten GenZ-Konferenz in Südwestfalen? Viel. Sehr viel. So viel, dass ich ein ganzes Buch darüber schreiben könnte. Das verschiebe ich auf später. Festhalten will ich für´s erste folgendes: junge Menschen wollen, dass sie nicht erst 65 km nach Köln fahren müssen, um einen coolen Club oder ein gutes Konzert zu besuchen.

Mit Simon Schnetzer (links) und Markus Böhnisch (rechts). Simon kam übrigens mit dem Fahrrad. Das hat er immer dabei

Und sie wünschen mehr Bus und Bahn anstelle von Autobahn und SUV. Das kann ich persönlich gut verstehen, mir ging es vor 30 Jahren genauso. Um sich für einen Arbeitgeber aus der Region zu entscheiden, ist nicht dessen Auftritt bei Tictoc entscheidend. Sie brauchen auch nicht so viele Details, wie sich der Beruf des Feinwerkmechanikers vom Fertigungsmechaniker unterscheidet. Stattdessen wollen sie lieber purpose. Sie wollen für ein Unternehmen arbeiten, das etwas Sinnvolles produziert und tut. Sie erwarten Transparenz und Fairness vom Management. Die hervorragende Heike Bruch, Professorin für Leadership aus St. Gallen, konnte aus wissenschaftlicher Sicht ergänzen: Der Fisch stinkt vom Kopf. Und das ist nicht nur ein altbackener Spruch. Das Management muss Vorbildcharakter haben, wenn der Laden laufen soll. Hat es das nicht, ist das Management beispielsweise unglaubwürdig, wird es schwierig, Mitarbeitende für die Arbeit zu motivieren.

Die GenZ sitzt heute am längeren Hebel. Dank des demographischen Wandels kann sich die junge Generation die Jobs aussuchen. Das heißt für die Unternehmen, sie müssen sich ranhalten. Am besten überzeugen sie durch „alte“ Tugenden: Verbindlichkeit, Ehrlichkeit, Respekt. Simon Schnetzer, einer der renommiertesten Jugendforscher Deutschland, gewährte in den Sauerland-Pyramiden Einblick in die Psyche junger Menschen. Sie wünschen sich ein Leben in Sicherheit. Der Klimawandel, der Krieg in der Ukraine und auch die Corona-Krise bedrücken die GenZ. Wenn die Region Südwestfalen diese Sorgen ernst nimmt, besteht darin großes Potential, jungen Menschen durch ein gutes menschliches Miteinander und erholsame Natur ein wünschenswertes Zuhause zu bieten.

Für mich war es eine Herzensangelegenheit, diese Veranstaltung zu moderieren. Gemeinsam mit dem besten Kollegen von Welt, Markus Böhnisch. To be continued: Die NextGen-Konferenz Südwestfalen war ein phänomenaler Auftakt. Organisiert durch eine Handvoll Ehrenamtlicher. Es soll weiter gehen. Brücken bauen zwischen den Generationen. Im Land der tausend Berge. Wo viel Gegend.

Und hier gehts zum Video: https://www.youtube.com/watch?v=RcY-E9-PTe8