Es gibt etwas Gutes zu lesen: Der Roman „Das achte Leben“ von Nino Haratishwili. Hurra! Ein Roman, ein echter Roman! Ein Stoff, ein echter Stoff! Autorin und Werk sind erstaunlich, ich fange aber zunächst mit dem Werk an. Ein Familienroman, den die Autorin entlang der Geschichte des 20. Jahrhunderts erzählt. Wohlgemerkt: Der sowjetischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die Handlung beginnt noch vor der Russischen Revolution und spielt an verschiedenen Orten in Georgien, in Moskau, Sankt Petersburg und Berlin. Acht Leben, in denen sich die Umwälzungen dieses Jahrhunderts widerspiegeln. Historisch ist der Roman gut recherchiert. An manchen Stellen wirken die Geschehnisse zwar etwas konstruiert, nehmen aber den Figuren niemals die Glaubwürdigkeit. Sie sind dreidimensional, lebendig und mit klaren Konturen. Der Roman ist ein echter Schinken mit weit mehr als 1000 Seiten, langatmig aber ist er an keiner Stelle. Im Gegenteil, der Roman ist temporeich und dicht. Haratishwili nimmt den Leser emotional mit in die Wirren dieses Jahrhunderts. Und davon gab es in der Sowjetunion ausreichend. Als eine der Heldinnen dieses Romans durch einen unglücklichen Zufall in den ersten Tagen der Russischen Revolution nach Petersburg gerät, hat man als Leser das Gefühl, den Geruch von Schießpulver auf der Straße zu riechen. Getragen wird der Spannungsbogen von einem phantastischen Element, der betörenden Schokolade aus einem überlieferten Familiengeheimnis. Hier tritt Nino Haratischwili in die Tradition der russischen Literatur. Der Roman ist die Geschichte ihrer eigenen georgischen Familie, das ist nicht schwer zu erraten, Nino ist die Ich-Erzählerin Niza. Und genauso wie Niza lernt Nino Deutsch erst als erwachsene Frau. Und dennoch beherrscht sie die Sprache so brilliant, dass sie ihre Bücher auf Deutsch schreibt. Ich habe im Anschluss noch ein früheres Werk von Haratischwili gelesen, „Mein sanfter Zwilling“. Ein relativ kurzer Roman, in dem sich schon viele Motive andeuten, die sie in „Das achte Leben“ entfaltet. Nino Haratishwili ist für mich eine echte Entdeckung.