Glaubwürdigkeitskrise: Eine Welle der retrospektiven Selbstkritik hat die Branche erfasst. „Konstruktiver Journalismus“ ist das neue Zauberwort. Aber inwiefern war Journalismus bisher destruktiv? Um diese Frage ging es auf dem Frankfurter Tag des Online-Journalismus unter dem Motto „Wahr ist, was gefällt“.
Den #ftoj17 veranstaltet jährlich der Hessische Rundfunk in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Intendant des Hessischen Rundfunks, Manfred Krupp, gleich zu Beginn eine Lanze für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk brach. Manfred Krupp zitierte aus Umfragen, die die hohe Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens bekräftigten. Die Akzeptanz sei ungebrochen. Umfragen sind das eine, meine persönliche Erfahrung ist allerdings eine andere. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat sehr wohl ein Akzentanzproblem bei den Zuschauerinnen und Zuschauern. Viel bedenklicher als die Thesen der Verschwörungstheoretiker und Alternative-Fakten-Erschaffer finde ich die Tendenz, dass sich viele Intellektuelle vom Fernsehen abwenden. In gewissen Kreisen gilt es als schick, keinen Fernseher zu haben. Die Haltung, „lieber ein gutes Buch zu lesen“, mag ja etwas philiströs wirken, aber sie ist aus journalistischer Sicht bedenklich. Auf der Suche nach geeigneten Studiogästen für das Wirtschaftsmagazin „makro“ kontaktiere ich in der Regel gezielt Fachleute aus dem akademischen Bereich. In den Telefonaten höre ich oft die Kritik, Fernsehen sei zu vereinfachend und polarisierend. In den Talkshows hätten immer die gleichen Köpfe das Wort, der Gedankenaustausch sei dumpf und oberflächlich. Was läuft also schief in der Beziehung zwischen dem Fernsehen und den Intellektuellen?
Der Vortrag von Diemut Roether auf dem FTOJ lieferte Ansatzpunkte für eine plausible Erklärung, warum die Glaubwürdigkeitskrise hausgemacht ist. Roether, verantwortliche Redakteurin bei epd Medien, wünschte sich „mehr Schwarzbrot in der Berichterstattung.“ Journalisten sollten mehr Komplexität zulassen. Als Beispiel nannte sie die Berichterstattung über Griechenland und das Ringen um die Verlängerung der Kredite im vergangenen Jahr. Im Fernsehen sei es fast immer nur um Emotionen gegangen: Empörte oder verzweifelte Griechen, eine verärgerte EU, angespannte Gipfelteilnehmer in Brüssel. Worum es inhaltlich bei den Verhandlungen gegangen sei, die Positionierungen oder die Tragweite der Entscheidungen, sei kaum vorgekommen. Als hätten die Journalisten Angst davor, ihrem Publikum komplizierte Dinge zuzumuten. Meinungen und Stimmungen zugunsten von Informationen und Einordnungen, viel Daumen rauf oder runter, Hauptsache Nachrichten, die polarisierten.
Als weiteres Beispiel nannte Diemut Roether die Flüchtlingsproblematik, die häufig in der Berichterstattung auf einen Seehofer-Merkel-Konflikt reduziert worden sei. Auch hier ging es um persönliche Anfeindungen, um viel Gefühl und wenig Fakten. Diemut Roether wünschte sich eine Rückbesinnung auf journalistisches Handwerk und mehr Zeit für Recherchen: „Wie ein Fliesenleger Fliesen legt, muss ein Journalist recherchieren.“
Was mir an dem Vortrag von Diemut Roether sehr gut gefallen hat, war die Treffsicherheit ihrer Analyse gepaart mit dem Respekt vor der Arbeit von Journalistinnen und Journalisten. Ihre Kritik war kollegial und konstruktiv, immer wieder führte sie die Gründe ins Feld: der Personalmangel in den Redaktionen.
SWR-Chefreporter Thomas Leif forderte auf dem Podium eine Renaissance des Bildungsauftrags und ein Ende der Erklärungsarmut im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Quotensteigerung liefe immer wieder auf Komplexitätsreduzierung hinaus. Thomas Leif sprach von „Diskursallergie“ und „Konfliktvermeidung“, als Beispiel nannte er die Entscheidung des ZDF, die Mainzer Tage der Medienkritik abzuschaffen.
Verzichtbar auf diesem Frankfurter Tag des Online-Journalismus war allerdings die anschließende „Diskussion“ zwischen Thomas Leif und Roland Tichy. Wenn es denn wirklich eine hätte werden können. Nennen wir es einen Schlagabtausch mit vorhersehbarer Dramaturgie. Leif über Roland Tichy: „Sprecher der heimatlosen Rechten in Deutschland“, „Schriftführer der APO von rechts“. Und natürlich fand Roland Tichy zugespitzte Formulierungen nicht nur erlaubt, sondern notwendig. Wer hätte das gedacht? Daher sei es ja schon fast ein Muss, im Hinblick auf die Flüchtlingskrise vom „Import von Rentenzahlsklaven“ zu sprechen. Und Thomas Leif – oh Wunder – fand das flach und polemisch. Ich habe mich an die Kritik erinnert gefühlt, den so viele Fachleute, mit denen ich telefoniere, an politischen Talkshows äußern. Man nehme bekannte Gesichter mit polarisierenden Meinungen und kompromissloser Haltung und lasse sie aufeinander los. Mehr Emotion in der Berichterstattung geht wohl kaum noch.
Trotzdem: Die Diskussion über „Wahr ist, was gefällt“ und die Glaubwürdigkeitskrise des Journalismus ist dringend notwendig und sollte nicht nur von den Online-Kollegen initiiert werden. Ich wünsche mir mehr Austausch darüber auch unter den Fernsehkollegen.