Weit weg von den politischen Zentren Berlin und Moskau üben sich Deutschland und Russland in Verständigung. Doch auch zwei Tage Darmstadt-Kranichstein bringen keine wesentliche Annäherung. Dabei kommen beide weder mit noch ohne einander aus.

Die traditionellen deutsch-russischen Gespräche, die nach ihrem Gründungsort Schlangenbader Gespräche heißen, sind eine zweitägige Konferenz zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen.

An den „Schlangenbader Gesprächen“ nehmen etwa 50 Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Militär und Journalismus teil. Weil die Gespräche intern sind, kann Klartext geredet werden. Veranstalter sind die Friedrich-Ebert-Stiftung und das Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften (IMEMO).

Seit 2014, dem Jahr der Annexion der Krim und dem Beginn wechselseitiger Sanktionen, ist auch auf dieser jährlichen Tagung eine tiefe Entfremdung zu spüren. Und so verläuft das Treffen dieses Mal von Beginn an konfrontativ. Die russische Seite hat das erste Wort und übernimmt die Rolle der „beleidigten Großmacht“. Immer wieder habe Moskau die Hand ausgestreckt, aber der Westen habe sie ausgeschlagen. Seit dem Fall der Mauer habe Russland viel getan für einen gleichberechtigten Dialog und eine stabile Sicherheitsarchitektur für Europa. Der Dank seien Erweiterungswellen der NATO und militärische Manöver direkt vor der russischen Haustür gewesen. Nach dieser ersten Philippika wird bald ein deutscher Teilnehmer beklagen, dass Russland seit Jahren immer wieder Schritte der Annäherung missachte. Unter dem Verzicht diplomatischer Zeremonielle sind nach nicht einmal einer Stunde die Fronten geklärt. Zurück bleibt ein tiefes gegenseitiges Unverständnis zwischen Deutschland und Russland.

Wenn die „Schlangenbader Gespräche“ ein authentisches Bild der beiden gesprächsführenden Seiten zeichnen: In welcher politischen Verfassung befindet sich dann Russland im Frühjahr 2018? Die ökonomische Schwäche des Landes schadet der politischen Führung weiter nicht, denn die Bevölkerung macht Wladimir Putin kaum verantwortlich für die prekäre wirtschaftliche Lage im Land. Der Präsident kann sich auf seine gut geölte Propaganda-Maschine verlassen. Zudem gibt es keine ernstzunehmende, organisierte Opposition in Russland. Der Skripal-Skandal hat Putin sogar dabei geholfen, sich gegenüber der russischen Bevölkerung als konsequent zu zeigen. Die Krim- und Ukraine-Politik des Präsidenten ist in Russland weiterhin sehr populär. Putin hat Russland in der Wahrnehmung vieler Menschen „von den Knien erhoben“, er hat den Russen wieder ein Gefühl von Großmacht gegeben.

Für Russland ist klar: Es kann keine Annäherung geben, wenn „der Westen“ weiterhin aus einer Position der Überlegenheit auf Russland zugehe. Insbesondere die USA kultivierten eine Sieger-Ideologie. Warum sei die Tätigkeit des NATO-Russland-Rates eingeschlafen, obwohl dieser Draht heute sehr hilfreich sein könne zur gemeinsamen Bekämpfung von Terrorismus? Angela Merkel, so die russische Seite weiter, habe in Aussicht gestellt, ein Gremium zu schaffen für Sicherheitsfragen zwischen der EU und Russland, aber bislang sei daraus nichts geworden. Die Gegenfragen aus deutscher Sicht ließen nicht lange auf sich warten. Warum werde in Russland an einem anti-westlichen Feindbild gearbeitet? Was habe es mit den Cyber-Attacken und der Unterstützung rechter Gruppen in Deutschland auf sich? Und warum werde das Minsker Abkommen nicht eingehalten?

Während sich die gegenseitigen Vorwürfe hochschaukeln, geht parallel dazu der militärische Eskalationsprozess weiter. Dass über der Ostsee und dem Schwarzen Meer auch russische Militärmaschinen kreisten, ohne dass es bisher zu Zwischenfällen gekommen sei, könne eher als großes Glück angesehen werden. Immerhin: In der Sorge um die Sicherheit Europas nähern sich die Teilnehmer der „Schlangenbader Gespräche“ dann doch aneinander etwas an. Selbst zu Spitzenzeiten des Kalten Krieges habe man mit der Schlussakte von Helsinki Lösungen zur Entspannung finden können. Warum gelinge es das heute nicht mehr? Weil, wie es ein deutscher Teilnehmer formulierte, der jeweilige Respekt fehle vor dem Sicherheitsempfinden der anderen Seite. Psychoanalytiker, bitte übernehmen Sie.