Familiengeheimnisse und andere Bande: Auch wenn ich immer noch nicht weiß, wie man den Namen richtig ausspricht, geht mir die Autorin nicht aus dem Kopf: Celeste Ng schreibt klug über das Gefühl von Fremdheit.
Ihre Protagonisten sind Menschen, die in dem jeweiligen gesellschaftlichen Gefüge, in dem sie leben, nicht heimisch werden. Weil ihre Eltern Einwanderer sind zum Beispiel. Oder weil ihr gesellschaftlicher Background nicht zur Kleinfamilienidylle im Speckgürtel von Cleveland passt. Weil sie im geordneteten Mittelschichts-Alltag ihre eigene Ordnung nicht finden können.
„Little Fires everywhere“ fand ich noch ausgereifter in der Konstruktion als „What I never told you“. Celeste Ng ist Amerikanerin mit chinesischen Wurzeln. Ihre Romane waren große Erfolge in den USA – vollkommen zurecht. Der jüngste Roman, „Little Fires everywhere“, arbeitet klug mit einem historischen Vorbild. Anfang 2000 gab es in die USA eine hysterische Debatte um Elián González. Der Fünfjährige verlor seine Mutter bei der Flucht aus Kuba in die USA. Monatelang kreiste die mediale Debatte in den USA um die Frage, ob ein Kind in einem fördernden, politisch korrekten Umfeld aufwachsen solle (in den USA), oder in eher prekären Verhältnissen, aber dafür bei dem eigenen Vater (in Kuba).
Ähnliches spiegelt „Little Fires everywhere“. Die chinesische Immigratin Bebe setzt aus Not ihr Neugeborenes aus. Das kleine Mädchen kommt zu einem liebevollen gutsituierten amerikanischen Ehepaar. Bebe besinnt sich aber, bereut ihr kopflose Tat und will ihr Kind zurück. Eine mediale und rechtliche Schlacht beginnt, wo es das Kind wohl besser haben könnte. Der kleine Vorort von Cleveland gerät aus den Fugen. Mitten drin Mrs. Richardson, die als Mutter von vier Kindern und Frau eines Anwalts geordnete Verhältnisse liebt.
Die Welt von Mrs. Richardson wird aber nicht nur durch den Sorgerechtsstreit erschüttert, in dem Elena Richardson natürlich auf der moralisch richtigen Seite steht, nämlich auf der Seite der Adoptivmutter, einer guten Freundin, die wie Elena ebenfalls geordnete Verhältnisse liebt. Natürlich verurteilt Elena Richardson die chinesische Immigrantin, die ihrer Meinung nach verantwortungslos ihr Neugeborenes aussetzte. Bebe hat schlecht gehandelt, ihre Freundin dagegen ist ein guter Mensch, hat lange auf eine Adoptivkind gehofft und verdient daher, das Kind behalten zu dürfen. So einfach ist die Welt der Elena Richardson, einer Frau, die nichts anderes als ein gut behütetes Leben kennt.
Die Welt von Elena Richardson gerät aber auch durch eine andere Frau in Unordnung, die gemeinsam mit Bebe als Küchenhilfe im gleichen Restaurant arbeitet. Es handelt sich um Mia Warren, einer Fotokünstlerin, die mit ihrer Tochter Pearl seit Jahren von Ort zu Ort zieht. Alles, was die beiden besitzen, passt in einen alten VW-Bus. Das Schicksal will es, dass Mia als Mieterin im Haus von Elena Richardson landet. Elena gibt sich zunächst generös gegenüber der „armen Künstlerin“, verachtet im Grunde aber das unstete Leben dieser Frau. Doch die Intellektualität und aufrichtige Herzlichkeit von Mia Warren wird zum Magneten für Elenas Kinder. Sie kommen immer häufiger in Mias ärmliche Wohnung. Umgekehrt ist Pearl zunächst fasziniert von der gutbürgerlichen Ordnung und dem Wohlstand im Hause Richardson.
Doch Elena intrigiert, und am Ende verlassen Mia und Pearl fluchtartig die Richardson-Wohnung. Aus Entsetzen über die Doppelmoral der eigenen Familie zündet das jüngste der Richardson-Kinder das Haus an. Bebe kidnappt ihr Kind und flieht mit dem Baby auf Nimmersehen zurück nach China.
Ng nimmt sich die moralisierenden Spießer vor und deren vermeintliche Überlegenheit. In beiden Romanen geht es um Familiengeheimnisse und den Zusammenbruch einer nur scheinbar geordneten Welt. Und um die grundlegende Frage, wer gehört zu wem? Großartig skizziert sie die Gefühle ihrer Figuren. Es reichen die kleinen Gesten, um zu verstehen, was in den Personen vor sich geht. Besonders hat mich beeindruckt, wie sensibel Celeste Ng die Gefühlswelt von Teenagern beschreiben kann. Nehmen wir alleine Izzy, das jünge der Richardson-Kinder. Das Mädchen wird abgöttisch geliebt, fühlt sich am Ende aber doch nicht angenommen von der Mutter. Oder Pearl, deren Mutter wenig Geld hat: Der Teenager ist ständig damit beschäftigt, dieses „Defizit“ in der Mittelschichtsidylle zu kaschieren.
Das Ende in beiden Romanen ist ein bisschen Hollywood: Jetzt zählen nur noch die großen Gesten. Das ist schade, tut dem literarischen Wert der beiden Romane aber keinen Abbruch.